Als ich mich vor vielen Jahren erstmals mit „Jiu-Jitsu“ beschäftigte, meinte ich damit automatisch Brazilian Jiu-Jitsu. Zwar hatte ich auch schonmal etwas von Japanischen Jiu-Jitsu gehört, wusste aber nicht, dass das noch irgendwo tatsächlich praktiziert wird. Ich dachte, das einzige Jiu-Jitsu, dass es heute noch gibt, ist jenes aus Brasilien.
Erst als ich in Wien einmal zufällig an einem Plakat von einem „Österreichischen Jiu-Jitsu Verband“ vorbei spazierte, stellte ich fest dass dem nicht so sei. Inzwischen habe ich meinen Horizont ein wenig erweitert und mir viele unterschiedliche Jiu-Jitsu Variationen angesehen bzw. manche davon ausprobiert. So waren einmal waren auch zwei Instruktoren des Ju-Jutsu für ein Seminar bei uns im Gailtal, und einmal nahm ich an einer Trainingswoche des Österreichischen Jiu-Jitsu Verbands Teil.
Neben den beiden bekannten Stilen des brasilianischen und japanischen Jiu-Jitsu gibt es aber auch noch einige weitere, vielleicht weniger bekannte aber dennoch sehr interessante Variationen des Jiu-Jitsu. An dieser Stelle möchte ich einige davon vorstellen.
Verschiedene Jiu-Jitsu Varianten (Kampfkünste und Wettkampfsport-Reglements):
- Ju-Jitsu Fighting System: Ein Wettkampfsport der den Kampf in drei Phasen unterteilt: Distanzkampf mit Semikontakt-Striking, Clinch ohne Striking aber mit Würfen/Takedowns, und Bodenkampf-Grappling. Dieser Stil wird meistens dem japanischen Jiu-Jitsu zugeordnet, ist jedoch international verbreitet.
- Ju-Jitsu Full Contact: Die härtere Variante des zuvor genannten Fighting Systems – hier gibt es Vollkontakt-Striking, und der Kampf ist nicht in unterschiedliche Phasen gegliedert, sondern es können in jeder Situation Striking- und Grappling-Techniken angewandt werden.
- Deutsches Ju-Jutsu: Vertreter des deutschen Ju-Jutsu sind häufig in den beiden zuvor genannnten Wettkampf-Reglements aktiv (und gehören dort anscheinend zu den erfolgreichsten Teilnehmern). An sich versteht sich das Ju-Jutsu aber als moderne Weiterentwicklung des traditionellen japanischen Jiu-Jitsu, und es möchte selbstverteidigungsorientiert sein.
- Schwedisches Kampjujutsu: Der schwedische Ableger des deutschen Ju-Jutsu kommt meiner Meinung nach in der Auflistung bisher dem modernen MMA im Nächsten, nur dass hier üblicherweise im Gi gekämpft wird. Wir finden hier moderne, realistische Striking- und Grappling Techniken in einer stimmigen Symbiose. Es sieht so aus als werde hier primär im Vollkontakt gekämpft, und auch für Gürtelprüfungen ist es notwendig, zu kämpfen bzw. hart zu sparren.
- Ju-Jutsu Allkampf: Die deutsche Variante des Kampjujutsu kommt dem modernen MMA vielleicht noch näher, denn hier gibt es auch Nogi-Wettkämpfe. Auch hier gibt es Vollkontakt-Striking und Grappling mit für moderne Kampfsportarten typischen Techniken.
- Allkampf-Jitsu: Trotz des ähnlich klingenden Namens scheint das Allkampf-Jitsu, soweit ich es beurteilen kann, nicht identisch mit dem zuvor genannten Ju-Jutsu Allkampf zu sein. Vielmehr scheint es sich hier um eine traditionellere Variante mit (zumindest mancherorts) eher künstlerisch-verschnörkelten Bewegungen zu handeln, und es scheint auch eine Verbindung zum Taekwondo zu geben.
- Osteuropäisches Combat Ju-Jutsu: Eine Kampfkunst und ein Wettkampfsport-Reglement zugleich, und scheinbar primär in Osteuropa verbreitet. Es ähnelt für mich sehr stark dem zuvor genannten Kampjujutsu, denn auch hier wird im Gi und (zumindest in manchen Wettkämpfen) im Vollkontakt gekämpft. Es erinnert mich auch an das Combat Sambo und Kudo, jedoch scheint im Combat Ju-Jutsu etwas mehr Zeit für den Bodenkampf eingeräumt zu werden (Der Schwerpunkt scheint aber, ähnlich wie bei allen hier aufgelisteten Stilen, doch eher im Standkampf zu liegen). Für Combat Ju-Jutsu habe ich im Internet auch ein eigenes Gürtelsystem gefunden.
In gewisser Weise ähneln diese Varianten auch dem von mir praktiziertem Gracie Jiu-Jitsu, denn auch dort gibt es Striking-Techniken und einen stärkeren Fokus auf die Selbstverteidigung, als im modernen Sport-BJJ. Anders als im Gracie Jiu-Jitsu wird aber bei den genannten Stilen der Bodenkampf eher sekundär behandelt – so zumindest mein bisheriger Eindruck.
Ich denke jedoch, dass jemand der Jiu-Jitsu (in irgendeiner Form) praktiziert auch einen Blick über den Tellerrand seines eigenen Stils werfen und sich von anderen Jiu-Jitsu-Variationen inspirieren lassen könnte (oder sollte).
Übrigens: Ein klassisches Duell zweier Jiu-Jitsu Stile fand im Jahr 1994 bei UFC 2 statt. Royce Gracie (Gracie Jiu-Jitsu) kämpfe gegen Remco Pardoel (lt. dem Ringsprecher war er „the current owner of the Dutch, Belgium, German, and Danish open class Jiu-Jitsu championships“). Royce konnte sich damals nach wenigen Minuten durchsetzen und den Kampf per Aufgabe gewinnen – den Kampf kann man auf UFC Fightpass sehen. Remco begann später auch, im Brazilian Jiu-Jitsu zu trainieren und war sogar der erste Europäer, der einen Schwarzgurt im BJJ erlangte.