„So that one may walk in peace“ ist wohl eines der bekanntesten Zitate von Imi Lichtenfeld, dem Begründer des Krav Maga. Es fasst in einem Satz zusammen, warum es Krav Maga gibt: Damit man, angesichts verschiedener Gefahren, Angriffe und Attacken, dennoch in Frieden leben kann, mit Hilfe effektiver Selbstverteidigung.
Aber wie sieht diese effektive Selbstverteidigung aus? Wie ist sie konzipiert, wie ist sie definiert, wie unterscheidet sie sich auch von anderen Arten der Kampfkunst, des Kampfsports und der Selbstverteidigung?
In diesem kurzen Essay möchte ich Euch meine Interpretation von Krav Maga näherbringen, basierend auf Imis Worten und auch Handlungen.
Imis Kampfsport-Background
Imi Lichtenfeld war in seiner Jugend im Leistungssport, insbesondere im Kampfsport aktiv und erfolgreich. So hatte er z.B. Meistertitel im Boxen und Ringen (https://www.youtube.com/watch?v=AqPUf1Ga99Q). Später erlangt er auch noch einen Schwarzgurt im Judo (23:00 bei https://www.youtube.com/watch?v=AT6S5Il4ykE). Sein Vater unterrichtete Jiu-Jitsu (https://www.youtube.com/watch?v=rNEkEuBtA8w).
In gewisser Weise war Imi also ein früher MMA-Kämpfer, da er verschiedene Kampfsportarten trainierte und miteinander kombinierte.
Schon vor der Gründung der Israeli Defense Forces IDF nutzte er seine Fähkeiten für die Selbstverteidigung (https://www.youtube.com/watch?v=iCGi6q8Se3Q) und unterrichtet diese auch (https://www.youtube.com/watch?v=4DwckZHdEm0). Die Ursprünge des Krav Maga lagen also immer schon in der Selbstverteidigung, erst später kam der militärische Einsatz dazu.
Imis Grundideen zu Krav Maga
Auf YouTube gibt es ein über 30-minütiges Seminar, in dem Imi Lichtenfeld Einsteigern Krav Maga vorstellt. Als er gerade einen Breakfall (bei ca. 20:30 im Video) demonstriert, erwähnt er, dass er zum Zeitpunkt der Aufnahme 78 Jahre alt ist.
Ich denke aus dem Seminar können wir viel über Imis Grundgedanken zu seinem Selbstverteidigungssystem erfahren. Hier könnt Ihr es ansehen:
Anhand Imis Aussagen sind mir hier folgende Grundprinzipien aufgefallen:
- Natürliche Reflexe/Reaktionen: Es ist möglich Techniken soweit zu beherrschen, dass man sie durchführen kann ohne darüber nachdenken zu müssen. (ca. bei 3:00)
- Einfach/simpel: Immer wieder betont Imi, dass es wichtig ist, dass die Techniken einfach und unkompliziert sind. So kann man sie leichter erlernen, schneller durchführen, und sich besser merken! (ca. 13:30, 13:50
- Schnell erlernbar: Aufgrund der Simplizität sind die Techniken schnell erlernbar (ca. 9:00).
- Schnell durchführbar: Die Kontertechniken sind nicht nur unkompliziert, sondern auch in sehr kurzer Zeit durchführbar. (ca. 9:10)
- Für alle Altersgruppen: Imi holt extra einen älteren Herrn aus dem Publikum hervor, um ihm die 360-Grad-Verteidigung beizubringen. (ca. 10:00)
- Techniken von anderen Kampfkünsten übernehmen: Krav Maga war schon immer inspiriert von verschiedenen anderen Kampfsportarten, und Imi übernahm Techniken von verschiedenen anderen Quellen, um sie dann in sein System einzufügen/miteinander zu kombinieren (ca. 5:50).
- Verletzungsfreies Training: Nach all den Jahren/Jahrzehnten Training gab es keine ernsthaften Verletzungen bei seinen Schülern oder seinen Instruktoren. (ca. 20:20)
- Gürtelsystem: Imi erzählt von jemanden, der eine Prüfung für den grünen Gürtel absolvieren wollte. (ca. 21:10) Das teilweise mit Gi trainiert wurde, sehen wir auch bereits anhand des Fotos am Anfang der Seite sowie an anderen Personen im Video (siehe z.B. diesen Ausschnitt für 2 Trainingspartner mit Gi).
- Keine übertriebene Gewalt: Imi erzählt von einem Beispiel, wie jemand übertrieben viele Kontertechniken angewandt hat. (ab ca. 22:00)
- Techniken sollten auch gegen größere/schwerere Gegner funktionieren: Anhand des Beispiels eines Judo-Wurfs bespricht Imi, dass abhängig vom Gewicht nicht jeder jeden werfen kann. (ca. 23:00)
- Ständige Weiterentwicklung: Krav Maga soll offen sein für neue Innovationen, nicht ewig statisch und gleich bleiben, sondern wachsen und sich weiterentwickeln. (ab ca. 27:40) Dabei können wir von allen lernen – von Schülern, von Gegnern…von jedem (ca. 28:20).
- Vielfältiges/vollständiges Kampfsystem: Im Krav Maga lernt man ein breites Spektrum an Kampftechniken, darunter Würfe, Schläge, Ellbogen- und Kniestöße etc. – einfach „alles, das möglich ist“. (ca. 29:20)
- Auswählen, was man möchte: Jeder kann von Krav Maga jene Aspekte auswählen, die er möchte bzw. die für einen selbst gut sind. (ab ca. 29:00)
(Die Zitate sind meist nicht ganz wörtlich, sondern eher frei ins Deutsche übersetzt. die Zeitangaben sind für beide verlinkte Videos grop0b zutreffend und meist etwas früher angesetzt, damit man auch den Kontext hört)
Klassische Techniken und Taktiken
Neben den erwähnten Grundprinzipien sehen wir im Video auch einige klassische Krav Maga Techniken und Taktiken, die unterrichtet werden – nämlich:
- 360-Grad-Verteidigung
- „Bursting“ gegen Angriffe mit einem Stock
- Gleichzeitig oder fast gleichzeitig verteidigen und angreifen
- Blick zum Brustkorb des Angreifers, um alle Gliedmaßen im Blick zu haben (nicht Blick in die Augen)
Weitere interessante Details zu Imi Lichtenfelds Krav Maga
Beim Ansehen der verschiedenen Krav Maga Videos von Imi Lichtenfeld ist mir aufgefallen, dass es einige interessante Details und auch Abweichungen gibt, in denen sich das damalige Krav Maga von vielen modernen Nachfolgern unterscheidet:
- Bodenkampf: In diesem Video sieht man eine Trainingsgruppe von Haim Gidon, die Imi gerade besucht. Sie trainieren Bodenkampf, und wir sehen ein paar Ausschnitte aus ihrem Sparring am Boden.
- Logische, natürliche Bewegungen: In diesem Kurzinterview bestätigt Imi nicht nur, dass es im Krav Maga komplett um die Selbstverteidigung geht, sondern dass natürliche und logische Bewegungen verwendet werden. Auch betont er die Wichtigkeit der 360-Grad-Verteidigung.
- „Schmutzige Techniken“ vermeiden: Hier bestätigt Imi zwar, dass es im Krav Maga auch „schmutzige“ Techniken, wie z.B. Angriffe gegen die Genitalien, gibt. Gleichzeitig stellt er aber klar, dass diese nur dann angewendet werden, wenn es wirklich sein muss, und eigentlich versucht werden soll, diese Dinge zu vermeiden („You must learn dirty things too, but you use it if you have to use it. But try not to use it“).
Moderne Krav Maga Interpretationen
Wie im obigen Seminar-Video ersichtlich, wünschte sich Imi eine ständige Weiterentwicklung des Krav Maga. Mir sind einige besonders interessante, moderne Vertreter von Krav Maga Organisationen aufgefallen, die ich hier auflisten wollte:
- Nomad Krav Maga: Hier sieht man sehr starke Einflüsse aus dem Kampfsport – das Krav Maga hier scheint ein wahres „Selbstverteidigungs-MMA“ zu sein. Auch der israelische UFC Kämpfer Natan Levy scheint hier zu trainieren und zu unterrichten.
- Fit to Fight Republic: Ryan Hoover war ursprünglich einer der Krav Maga Pioniere im amerikanischen Bereich, wandte sich aber dann von der Bezeichnung „Krav Maga“ ab. In der Zwischenzeit verwendet er sie aber wieder, und unterrichtet eine moderne Interpretation mit starken Einflüssen aus dem Ringen und modernen Kampfsportarten generell.
- Krav Maga Worldwide: Krav Maga Worldwide ist wohl eine der bekanntesten Krav Maga Organisationen – auch der zuvor genannte Ryan Hoover war hier früher einmal Mitglied. Ich habe bei dieser Organisation immer den Eindruck, dass man großen Wert legt auf saubere, präzise Kampfsport-Techniken, die man in einen Selbstverteidigungskontext unterrichtet.
Ich werde die Liste ggf. noch erweitern.